Alfred Röhricht (1904–1936)
Der einstige Rotfrontkämpfer Ernst Alfred Röhricht wurde am 25. Dezember 1904 in Liegnitz (Schlesien) geboren. Der Rotfrontkämpferbund (RFB) war die 1924 gegründete halbmilitärische Schutztruppe der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Über Julius und Pauline Röhricht, seine Eltern, können keine weiteren Angaben gemacht werden. Fest steht jedoch, dass er noch drei Schwestern und einen Bruder hatte.
Als sich der ledige Wirtschaftsgehilfe am 4. Mai 1932 bei den Polizeibehörden in Mittweida anmeldete, legte er als Legitimation einen Entlassungsschein aus dem Zuchthaus Waldheim vor. Was war dem vorausgegangen? Im Jahr 1925 war er in die Reichswehr eingetreten und diente fortan beim 10. Sächsischen Infanterie-Regiment in Bautzen. Dort setzte er sich wiederholt für die Rechte der Soldaten ein und wurde dadurch zur Zielscheibe von Anfeindungen. Nach 30 Tagen Arrest wurde er fristlos aus dem Heeresdienst entlassen. Ob er in dieser Zeit tatsächlich „Beziehungen zu tschechoslowakischen Spionageagenten“ aufnahm oder damit nur prahlte, ist nicht überliefert. Auf alle Fälle wurde er am 1. September 1927 vom Oberlandesgericht Dresden wegen „Verbrechen nach § 1, Abs. 1 und 2, des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juni 1914“ zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Zur Verbüßung der Freiheitsstrafe wurde er in das Zuchthaus Waldheim überführt. Sein „aufbrausendes und jähzorniges Wesen“, das in der Gefangenenakte erwähnt wurde, wirkte sich nicht förderlich auf seine Haft aus. Von der Familie weitgehend verstoßen, landete der Entwurzelte nach der Entlassung in Mittweida. Ein befreundeter Mithäftling, der wenige Wochen zuvor entlassen worden war und selbst aus Mittweida stammte, hatte ihm wohl dazu geraten.
Röhricht lebte zunächst zur Untermiete bei einer Witwe (Chemnitzer Straße 15). Mitten in der Weltwirtschaftskrise fand der ehemalige „Zuchthäusler“ keine Arbeit, dafür jedoch den Weg in die KPD. Er verkaufte Parteiliteratur in der Stadt und wurde aufgrund seines entschiedenen Auftretens in Arbeiterkreisen geschätzt. Ein Mithäftling beschrieb ihn später als „einen aufgeschlossenen, belesenen und sehr intelligenten Menschen mit einem klaren Weltbild“, der stets viel Wert auf körperliche Ertüchtigung legte. Im August 1932 zog er um und wohnte fortan bei der Ofensetzerfamilie Ziegenhierd (Kirchberg 1) zur Untermiete.
Wenige Tage nach dem Reichstagsbrand am 27./28. Februar 1933 kam es in Deutschland zu Massenverhaftungen. Insbesondere Funktionäre der Arbeiterparteien sollten vorläufig festgenommen werden. Das Chemnitzer Kommando der Schutzpolizei hatte zu diesem Zweck drei „politisch zuverlässige“ Männer nach Mittweida entsandt, um die Leitung der dortigen Polizei zu übernehmen. Der bisherige Leiter wurde beurlaubt. Am 3. März 1933 fanden auch in Mittweida Haussuchungen und Verhaftungen statt. Auf Veranlassung des Polizeiinspektors Friedrich Heymann, eines einstigen Bäckermeisters, wurden die Festgenommenen zunächst auf die Polizeiwache gebracht. Unter den elf Verhafteten befand sich auch Alfred Röhricht. Die Festgenommenen wurden über ihre Tätigkeit innerhalb ihrer Parteien vernommen. Als Röhricht über einen angeblichen Sprengstoffdiebstahl vernommen wurde, erhielt er von Heymann eine Ohrfeige. Daraufhin setzte er sich zur Wehr. Angeblich schlug Röhricht nicht nur den Polizeiinspektor, sondern auch sechs anwesende Mitglieder eines zuvor herbeigeholten SA-Sturmes aus Limbach „kampfunfähig“. Unter strenger Bewachung wurde er in das „Hansa-Haus“ in Chemnitz verlegt. In dieser Folterstätte wurde Röhricht von SA-Schergen wochenlang mit Stahlruten, Ochsenziemern, Gummiknüppeln und Nilpferdpeitschen auf das schwerste misshandelt. Auch hier wehrte er sich. Ein Knochen der linken Mittelhand wurde ihm dabei zerschlagen.
Trotz der Verletzung wurde Röhricht anschließend in das KZ Colditz gebracht. In dieser Zeit erhielt er von seinem Bruder, einem Sportlehrer im Ostseebad Swinemünde, mehrfach Briefe. Dieser war ein überzeugter Nationalsozialist und bemühte sich mit Nachdruck, seinen kommunistischen Bruder zu bekehren. Doch Röhricht war nicht bereit, sich der NS-Bewegung anzuschließen. Die ablehnende Haltung brachte ihm in den Folgewochen neue Misshandlungen und Prügel ein. Im Januar 1934 wurde er in das KZ Sachsenburg verlegt, wo er anfangs die Arbeit der Lagerfeuerwehr unterstützen musste. Die Lagerleitung beurteilte ihn am 12. Juni 1934: „Er ist sehr diensteifrig. Seine sonstige Führung im Lager ist ohne Tadel“. Dies sollte sich aber in der Folgezeit ändern. Gemeinsam mit Hugo Gräf (1892-1958), einem ehemaligen Reichstagsabgeordneten der KPD, leitete Röhricht eine Widerstandsgruppe innerhalb des Lagers. Er organisierte Schulungen und sammelte Informationen über Spitzel und Denunzianten sowie über Vorgänge und Stimmungen innerhalb der SS und der Lagerleitung. Später wurde Röhricht in den Arbeitskommandos „Steinbruch“ und „Straßenbau“ eingesetzt.
Beim Ausräumen des Mühlgrabens verletzte er sich im Herbst 1934 schwer am rechten Fuß und wurde ins Krankenrevier gebracht. Dort entfernte ihm der jüdische Arzt Dr. Hans Serelman, selbst Häftling, endlich die Knochensplitter der zerschlagenen Mittelhand. Fast war die Wunde verheilt, als Röhricht noch eine Mandelentzündung bekam. Wochenlang lag er deswegen im schweren Fieber. Der Häftlingsarzt war gezwungen, einen weiteren chirurgischen Eingriff am linken Arm vorzunehmen. Plötzlich wurde Dr. Serelmann jedoch untersagt, den schwerkranken Gefangenen, der es mittlerweile zum Stubenältesten gebracht hatte, weiter zu behandeln. Dr. Friedrich Gebhard, der verrufene SS-Lagerarzt, stellte die Behandlung nunmehr ganz ein. Kranke Häftlinge kümmerten sich um ihn und verbanden ihm die schweren Wunden. Obwohl Röhricht den linken Arm bis zur Schulter im Gipsverband hatte, wurde er nach einigen Wochen wieder ins Lager verlegt. Angehörige beantragten in dieser Zeit seine Entlassung, was jedoch abgelehnt wurde. Ob es sich um seine Schwester Margarethe handelte, die selbst mit einem Kriegsverletzten verheiratet war, kann nur vermutet werden. Erst Wochen später wurde er von Dr. Ullrich Wolff im Stadtkrankenhaus Frankenberg untersucht, der eine Knochentuberkulose des linken Armes feststellte. Ab Frühjahr 1935 musste Alfred Röhricht aufgrund dieser Erkrankung sogar beide Arme völlig in Gips tragen. Trotzdem wurde er gezwungen, zu jedem Appell mit anzutreten. Der SS-Lagerarzt verweigerte ihm zudem Krankenkost und Zusatznahrungsmittel.
Als der sozialdemokratische Redakteur Dr. Max Sachs am 5. Oktober 1935 im Lager zu Tode gefoltert wurde, schlug Röhricht einen der Peiniger mit seinen Gipsarmen zusammen. Dafür wurde er zwei Tage später vom Lagerkommandanten mit 42 Tagen strengem Arrest und 25 Stockhieben bestraft. Die Strafe sollte er bis zum 18. November 1935 verbüßen. Der Arrest wurde jedoch auf Anordnung des diensthabenden SS-Unterscharführers am 11. Oktober 1935 unterbrochen und der Gefangene wurde wieder ins Revier überführt. Am 7. Januar 1936 sollten Röhricht im Chemnitzer Krankenhaus im Küchwald beide Arme amputiert werden. Dank der Unterstützung einer Mittweidaer Kommunistin und eines SS-Wachmannes konnte er jedoch sieben Tage später nach Mittweida fliehen. Die 30-jährige Weberin Else Rott, die ihn schon früher oft in der Haft besucht hatte, hatte warme Zivilkleider ins Krankenhaus geschmuggelt. Sechs Tage lang konnte er sich bei Freunden (u. a. bei Marie Heller) in Mittweida bzw. in einem Werkzeugschuppen am Rande eines Steinbruchs in Neudörfchen verstecken. Am 16. Januar 1936 wurden jedoch seine Helfer von der Geheimen Staatspolizei verhaftet. Der Hausverwalter hatte ihren Aufenthalt verraten. Zuvor hatten sie Röhricht in ein neues Versteck bringen können. Vierzehn Tage lang wurden die Helfer im Polizeigefängnis verhört, sie gaben aber den Ort nicht preis. Daraufhin wurde eine Polizeirazzia eingeleitet, um den Entflohenen aufzuspüren.
Im Fieberwahn verließ Röhricht sein sicheres Versteck am Morgen des 19. Januar 1936. Mittags wurde der Herumirrende von Mitgliedern des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) entdeckt, die dies daraufhin der Polizeiwache fernmündlich meldeten. Die vier uniformierten Männer trieben Röhricht über Wiesen und Felder zum Stauwehr der Zschopau, um ihn zur Aufgabe zu zwingen. Als sich die Männer ihm auf etwa fünf Meter genähert hatten, sprang er trotz Warnrufen gegen 12 Uhr in die dort zwei bis drei Meter tiefe Zschopau, um ans andere Ufer zu schwimmen. Dort angelte jedoch ein ehemaliger Polizeiinspektor, dem die NSKK-Männer zugerufen hatten, den Flüchtigen festzuhalten, sobald er das Wasser verließe. Daraufhin stellte Röhricht etwa acht bis zehn Meter vom Ufer entfernt das Schwimmen ein und versank umgehend im Fluss. Ein Aufgeben kam für ihn nicht in Frage. Vor seinem Tod soll er „Rot Front lebt trotz alledem“ gerufen haben. Seinen Leichnam fand man am frühen Nachmittag (13.45 Uhr) in der Nähe des Städtischen Elektrizitätswerkes, nachdem ein Mitarbeiter den Wehrteich abgelassen hatte. Der Leichnam wurde beschlagnahmt. Der herbeigerufene Polizeiarzt Dr. Paul Gerhard Roßberg gab „Selbstmord durch Ertrinken“ als Todesursache an. Der diensthabende Polizeiobermeister benachrichtigte die Abteilung B des Polizeipräsidiums Chemnitz und das „Schutzhaftlager“ Sachsenburg.
Der Ertrunkene wurde als „Anatomie“-Leiche nach Leipzig überführt, was verwundert. Als Grund gab der Polizeiobermeister im Wachjournal an: Es ließen „sich … keinerlei Angehörige ausfindig machen, die den Verstorbenen zur Beerdigung reklamierten“. Daher sollte der Leichnam am 21. Januar 1936 in das Leipziger Institut für Anatomie, das die Annahme bereits zugesichert hatte, überführt werden. Er wurde jedoch bereits am Vortag nach Chemnitz gebracht, um von dort aus in das Institut gebracht zu werden. Am 6. Februar 1936, 10.52 Uhr, wurden die sterblichen Überreste letztlich im Krematorium des Südfriedhofes Leipzig eingeäschert. Als vermeintliche Todesursache wurde im Einäscherungsverzeichnis „Anatomie“ angeben. Am 20. Februar 1936 wurde der „Unbekannte/männlich“ aus Chemnitz auf dem Südfriedhof beigesetzt.
Im Juli 1948 schlug die Ortsgruppe Mittweida der im Februar 1947 gebildeten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) dem Stadtrat Mittweida vor, eine Gemeinschaftsgrabstätte anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Faschismus für die im Kampf gegen die nationalsozialistischen Machthaber gefallenen Antifaschisten zu weihen, für die die Stadt die Kosten übernehmen sollte. In diese Grabstätte sollten u. a. auch Röhrichts sterbliche Überreste umgebettet werden. Das Vorhaben konnte jedoch nicht in die Tat umgesetzt werden. Seit dem 5. August 2014 erinnert ein Stolperstein in Mittweida (Kirchberg 1) nicht nur an das Wirken Alfred Röhrichts, sondern auch an die tragischen Todesumstände: „Auf der Flucht in den Tod getrieben“.
Text: Dr. Jürgen Nitsche
Zur Person
Nachname: | Röhricht |
Vorname: | Ernst Alfred |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 25.12.1904 |
Geburtsort: | Liegnitz (Schlesien) |
Sterbedatum: | 19.01.1936 |
Sterbeort: | Mittweida |
Begräbnisstätte: | Südfriedhof Leipzig (anonym) |
Orte/Stationen der Verfolgung/Haft |
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Ergänzungen
Quelle(n)/ Literatur |
Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, 20036 Zuchthaus Waldheim, Nr. 07194 H. Kademann, Alfred Röhricht, in: Die neue Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft. Bd. 7, Prag-Zürich 1936, S. 428 Arolsen Archives, Nr. 9917 |
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