Fachworkshop in Dresden: „Sowjetische Militärtribunale (SMT) und Sicherheitsorgane in der SBZ/DDR und Österreich. Neue Forschungen und Perspektiven“
13.10.22
35 Teilnehmerinnen und Teilnehmer von 20 Gedenkstätten, Archiven, Forschungseinrichtungen und Opferverbänden zählte der am 12. Oktober 2022 von der Dokumentationsstelle Dresden gemeinsam mit der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt in der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden veranstaltete Workshop zu sowjetischen Militärtribunalen und Sicherheitsorgane in der SBZ/DDR und Österreich. Er zielte insbesondere auf den fachlichen Austausch über neue Forschungsergebnisse, Forschungsansätze und Quellen zum Thema. Der Workshop fand in Präsenz statt, wodurch sich auch die Möglichkeit für zahlreiche persönliche Kontakte an seinem Rande und in den Pausen gab.
Andreas Weigelt (Lieberose) sprach eingangs über westliche Militärspione vor sowjetischen Militärgerichten am Beispiel des sowjetischen Truppenübungsplatzes Lieberose. Er leuchtete anhand ausgewählter Biographien anschaulich und lebendig die Verbindungen Einheimischer zu westlichen Geheimdiensten aus. An seinen Vortrag schloss sich eine Diskussion der Frage nach den Motiven der Verurteilten sowie nach dem Zugang zu westlichen Geheimdienstquellen an.
Der Beitrag von Wolfgang Buwert (Frankfurt/Oder) hatte Verurteilte sowjetischer Militärtribunale (SMT), insbesondere jüngeren Alters, in Frankfurt/Oder zum Gegenstand. Interessant war vor allem seine Schilderung, dass einer der Prozesse ohne Verurteilung zu Ende ging, nachdem die Angeklagten in der Verhandlung darauf verwiesen hatten, dass ihre Aussagen unter Folter entstanden waren. So etwas kam in der SMT-Praxis nur selten vor.
Die Urteilspraxis sowjetischer Militärtribunale in Österreich war Thema des Beitrags von Harald Knoll (Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung Graz). Diese unterschied sich durchaus von den Verfahren in der SBZ/DDR. Besonderes Interesse fanden bei den Workshopteilnehmern die Ausführungen über Prozesse gegen Angehörige der Wiener Polizei, die als Streifenpolizisten in Galizien in den Holocaust verstrickt wurden.
Ulrich Müller (Stasiunterlagenarchiv im Bundesarchiv) widmete sich unter der Überschrift „Kalter Krieg und Ahndung von NS-Verbrechen. Die Wirkung alliierter Militärgerichtsbarkeit auf die NS-Strafverfolgung der beiden deutschen Staaten“ auf einen bislang vernachlässigten Aspekt der sowjetischen Militärjustiz. Er stellte die These auf, dass die Entlassung von wegen NS-Verbrechen durch SMT verurteilten Deutschen aus sowjetischer Gefangenschaft in der Mitte der 1950er-Jahre zur Initialzündung für strafrechtliche Ermittlungen in der Bundesrepublik Deutschland wurde. Paradoxerweise führte die Nichtanerkennung der SMT-Urteile in der Bundesrepublik zum Beginn bundesdeutscher Ermittlungen, während die Anerkennung der SMT-Urteile in der DDR zu keiner Aufnahme eigener Ermittlungen führte.
Der geplante Beitrag von Daniel Bohse (Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg) zur Zusammenarbeit zwischen K5/MfS und dem MGB in Sachsen-Anhalt musste leider krankheitsbedingt ausfallen. Für Sachsen beleuchtete Klaus-Dieter Müller das Thema mit zahlreichen Statistiken über die Ermittlungen durch sowjetische Sicherheitsorgane und die K5 bzw. das MfS. Er konnte klar belegen, wie das MfS in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre sukzessive die Bekämpfung politischer Gegner von der sowjetischen Staatssicherheit übernahm. Ein Schwerpunkt seines Vortrags lag auf Verurteilungen im Zusammenhang mit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR. Nach dem Vortrag entspann sich eine Diskussion darüber, ob Verurteilungen nach dem Artikel 58-2 StGB der RSFSR tatsächlich pauschal dem Komplex der Aburteilung von „NS-Kriegsverbrechen“ zugeordnet werden können.
Daran anschließend legte Peter Erler (Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen) in seinem Vortrag den Forschungsstand über das MGB-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen dar. Dabei berührte er Aspekte wie die erfundenen Rekonstruktionen einer vermeintlichen Wasser-Folterzelle am Beginn der 1990er-Jahre, die Spezialisierung der sowjetischen Vernehmer auf einzelne Verfolgungskomplexe (z. B. das SPD-„Ostbüro“), eine mögliche Differenzierung der Gefangenengesellschaft nach vier Verfolgtengruppen sowie die (bislang erfolglosen) Versuche der Leitung der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen um Unterlagen aus dem Zentralarchiv des FSB zum MGB-Gefängnis Hohenschönhausen. In der Diskussion wurde unter anderem die Frage nach Quellen zu den so genannten Inneren Truppen des NKWD/MWD in russischen Archiven diskutiert.
Sebastian Rab und Valerian Welm (Dokumentationsstelle Dresden/Stiftung Sächsische Gedenkstätten) berichteten im Weiteren über die bisherigen und aktuellen Entwicklungen in der Praxis der Rehabilitierung durch die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation. Kernaussagen ihres Vortrages waren, dass die Rehabilitierungspraxis im Zeitverlauf trotz gleichbleibender Rechtsgrundlage ständigen Veränderungen unterliegt und dass die Rehabilitierungen wie auch die begründete Ablehnung entsprechender Anträge sowohl wichtige Quellen und Ausgangspunkte für die geschichtswissenschaftliche Forschung als auch bedeutsame Dokumente für Angehörige sind.
Abschließend stellte Bert Pampel (Dokumentationsstelle Dresden) Zwischenergebnisse aus dem Projekt zu Urteilen sowjetischer Militärtribunale (SMT) in Dresden vor. Deren Zahl bezifferte er auf annähernd 2 500. Aufgrund der fallgruppenspezifischen Auswertung einer Stichprobe von 300 Urteilen sei davon auszugehen, dass sowohl der Anteil der Verurteilungen wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Spionage als auch wegen so genannter antisowjetischer Propaganda im Vergleich zur bislang bekannten Gesamtheit der SMT-Urteile in Dresden höher liegt. Mindestens 25 Prozent der Verurteilungen erfolgten wegen politisch abweichender Meinungen, Opposition oder aktivem Widerstand. Als schwierigste Herausforderungen bezeichnete er die Ermittlung der konkreten Tatvorwürfe bei Verurteilungen wegen Spionage und Terror/Diversion. In der Diskussion des Vortrags wurde unter anderem auf die Problematik einer Trennung von Militär- und Wirtschaftsspionage in mit sowjetischen Betrieben (SAG) wie der „Wismut“ verbundenen Fällen hingewiesen.
Als Fazit der Veranstaltung lässt sich festhalten, dass es trotz der bislang erreichten Fortschritte nach wie vor große Defizite in der Erforschung des Themas gibt. Obwohl sich diese aufgrund des inzwischen nahezu weitgehend verschlossenen Zugangs zu russischen, aber auch westeuropäischen Geheimdienstarchiven auf absehbare Zeit nur schwerlich abbauen lassen werden, fand gerade die Anregung von Peter Erler, sich über die regionale oder Haftort-bezogene Forschung gegenseitig besser auszutauschen, großen Widerhall. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben daher ihrer Hoffnung Ausdruck, dass in Zukunft weitere vergleichbare Veranstaltungen stattfinden werden.
Der Workshop war Teil des von der Bundesstiftung Aufarbeitung finanzierten Projekts zu sowjetischen Militärtribunalen in Dresden.
Kontakt:
Dr. Bert Pampel, Leiter der Dokumentationsstelle Dresden | Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Tel. 0351 4695548
bert.pampel@stsg.de
www.dokst.de