Die Übergabe des sowjetischen Speziallagers Bautzen an die Deutsche Volkspolizei im Februar 1950
In Folge der Gründung der DDR im Oktober 1949 beschloss die sowjetische Besatzungsmacht im Januar 1950 die Auflösung der letzten verbliebenen drei Speziallager Bautzen, Sachsenhausen und Buchenwald. Am 17. Januar 1950 kündigte die DDR-Presse die bevorstehende Auflösung der Speziallager an. Während in den Lagern Buchenwald und Sachsenhausen tatsächlich die Mehrzahl der Internierten freigelassen wurde, wurde das Speziallager Bautzen an die Behörden der DDR übergeben. Für die Eingesperrten in Bautzen wechselten im Februar 1950 nur die Bewacher. Das Bautzner Gefängnis wurde eine Strafvollzugsanstalt unter Verwaltung der Deutschen Volkspolizei. Lediglich 690 Internierte, also ohne Urteil Gefangene, und 121 durch sowjetische Militärtribunale (SMT) Verurteilte wurden im Januar 1950 aus Bautzen entlassen.
Im berüchtigten »Gelben Elend« blieben circa 6.000 SMT-Verurteilte und 330 Internierte weiter eingesperrt. Die Internierten wurden kurz darauf in das Zuchthaus Waldheim verlegt und im Rahmen der »Waldheimer Prozesse« in unrechtmäßigen Verfahren abgeurteilt. Der Strafvollzug der DDR rekrutierte in seiner Anfangszeit zahlreiche ehemalige politische Gefangene des nationalsozialistischen Regimes, weil sie eigene Hafterfahrungen mitbrachten, wie auch der neue Gefängnisleiter Erich Reschke. Anfangs standen ihm lediglich 50 Mann für die Bewachung zur Verfügung. Mit dem Ausbau der Abteilung Strafvollzug der Deutschen Volkspolizei wuchs der Personalbestand in Bautzen bis Mitte der 1950er Jahre an. Ab diesem Zeitpunkt waren 240 bis 290 Volkspolizisten für die Bewachung und Verwaltung des Gefängnisses zuständig.
Häftlingsaufstand im März 1950
Die Gefangenen in Bautzen waren enttäuscht, weil es trotz der Übergabe an die Volkspolizei kaum Entlassungen gab. Statt der erhofften Verbesserung unter deutscher Bewachung gab es zudem eine deutliche Verschlechterung der Haftbedingungen. Die Volkspolizei hatte mit deutlich weniger Gefangenen gerechnet und war mit den Bedingungen vor Ort heillos überfordert. Am 13. März 1950 organisierten die Gefangenen einen ersten Hungerstreik.
Durch Versprechungen der Gefängnisleitung beruhigte sich die zwar Situation, Veränderungen blieben jedoch aus. Am 31. März flammte erneut der Protest auf. Mit Sprechchören machten die Inhaftierten die Einwohner Bautzens auf ihre Not aufmerksam. Die Gefängnisleitung ließ die Revolte mit brutaler Gewalt niederschlagen. Zwei »Briefe aus Bautzen« gelangten als Hilferuf der Gefangenen in die Bundesrepublik. Die Öffentlichkeit wurde auf Bautzen als Ort politischer Verfolgung aufmerksam.
Normalisierung des Haftalltags
Erst im Verlauf des Frühsommers 1950 besserten sich allmählich die Verpflegung und die medizinische Versorgung der Gefangenen. Ab April 1950 durften Gefangene auf einem vorgedruckten DIN-A5-Bogen regelmäßig ihren Angehörigen schreiben. Seit dem Sommer wurden auch Paketsendungen mit Lebensmitteln gestattet, was längerfristig eine Verbesserung der Verpflegungssituation mit sich brachte. Ab Oktober waren Besuche naher Anghöriger erlaubt. Im Laufe des Jahres 1950 wurden die Sichtblenden an den Außenfenstern der Zellen entfernt, was zu mehr Tageslicht und einer besseren Belüftung führte. Auch der Hofgang wurde verlängert, um die Gefangenen länger an der frischen Luft zu halten. 1951 erhielten die Häftlinge Strafgefangenen-Uniformen. Durch Verlegungen in andere Gefängnisse ließ die Überfüllung der Zellen und Haftsäle im Laufe des Jahres 1951 spürbar nach. Trotz aller Maßnahmen blieben die Haftbedingungen bis Mitte der 1950er Jahre von Versorgungsmängeln und nur notdürftiger medizinischer Betreuung gekennzeichnet. Die weit verbreitete Tuberkulose (TBC), die in den Jahren zuvor die häufigste Todesursache unter den Gefangenen war, konnte zwar eingedämmt werden. Trotzdem starben bis Juli 1956 weitere 289 Gefangene, die Mehrzahl davon an TBC. Noch im Frühjahr 1955 galt rund ein Fünftel der Gefängnisinsassen, das heißt 650 bis 700 Menschen, als so krank, dass sie nicht arbeitsfähig waren. Erst Ende 1955 sank dieser Wert auf unter fünf Prozent.
Arbeit im Strafvollzug
Die Regulierung des Strafvollzugs brachte militärische Umgangsformen und eine straffe Organisation des Haftalltags mit sich. Die Bestimmungen des DDR-Strafvollzugs sahen eine Arbeitspflicht für Gefangene vor. Eine gefängniseigene Schneiderei nahm im Herbst 1950 als erster Arbeitsbetrieb ihre Tatigkeit auf. Auf dem Gefängnisgelände entstanden weitere Werkstätten: Im Januar 1952 gab es neben der Schneiderei eine Schuhmacherei, Bäckerei, Schlosserei, Tischlerei sowie Elektro-, Klempner- und KfZ-Werkstätten. Darüber hinaus mussten Gefangene im Heizwerk der Haftanstalt, in der Gärtnerei und in den unterschiedlichen Lagerräumen für Bekleidung und Lebensmittel arbeiten. 1952 begann die systematische Schrottverwertung (Sammlung von Buntmetall) im so genannten Schrottkommando. Im Konstruktionsbüro (»Kobü«) fertigten Gefangene technische Zeichnungen für Wirtschaftbetriebe, Illustrationen für Fachbücher und später sogar technische Übersetzungen aus dem Russischen an.
Häftlingsgesellschaft
Nach Übergabe des Lagers an die Volkspolizei der DDR im Februar 1950 bildeten die Gefangenen, die von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt worden waren, die große Mehrzahl. Bis Ende 1954 machten sie knapp drei Viertel, bis Mitte 1956 immer noch die Hälfte aller Insassen aus. Die SMT waren noch bis Oktober 1955 in der DDR tätig. Bis dahin griff die sowjetische Besatzungsmacht immer wieder unmittelbar in das politische Geschehen in der DDR ein. Insbesondere nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 kam es zu einer Welle von SMT-Verurteilungen. Für Bautzen ist die Neuaufnahme von mindestens 644 SMT-Verurteilten zwischen Februar 1950 und Dezember 1954 belegt. Die meisten von ihnen wurden wegen »Spionage« (48 %) und »antisowjetischer Propaganda« (37 %) verurteilt. Eine Erhebung im Auftrag der Sowjetischen Kontrollkommission ermittelte für März 1953 den Stand von 11.782 SMT-Verurteilten in DDR-Gefängnissen. 4.766, also 40 %, von ihnen befanden sich in Bautzen. Die Haftanstalt war damit das größte Gefängnis zur Inhaftierung von Verurteilten sowjetischer Militärjustiz auf deutschem Boden.
Entlassungen
Bis 1954 waren Entlassungen die Ausnahme. Eine erste Zäsur in der Belegung der Strafvollzugsanstalt Bautzen gab es im Januar 1954. Im Rahmen einer Amnestie wurden damals knapp 2.000 SMT-Verurteilte entlassen. Zwischen Anfang 1954 und Ende 1956 wurden in mehreren Schüben weitere SMT-Verurteilte aus den DDR-Haftanstalten entlassen. Als Opfer der kommunistischen Diktaturdurchsetzung blieben die allermeisten SMT-Verurteilten bis zum Ende der stalinistischen Ära 1956 in Gefangenschaft. Auch wenn die Mehrzahl dieser Menschen bis 1956 ihre Freiheit wiedererlangte, befanden sich darüber hinaus im Jahre 1957 noch über 100 und 1958/59 sogar noch 50 SMT-Verurteilte in Bautzen. Der letzte nachgewiesene SMT-Häftling verließ erst 1961 Bautzen I. Die Haftanstalt Bautzen I blieb bis zum Ende der DDR eines der größten Gefängnisse, in dem im Schnitt zwischen 2.000 und 3.000 Gefangene inhaftiert waren – zahlreiche von ihnen aus politischen Gründen.