Zum Tod von Charlotte Raufeisen
29.11.23
In stiller Trauer nehmen wir Abschied von Charlotte Raufeisen. Nach einem langen, sehr bewegten Leben verstarb Charlotte Raufeisen im September 2023 im Alter von 93 Jahren. Mehr als sieben Jahre musste sie zu Unrecht in Stasi-Haft verbringen. Den weiblichen Mitgefangenen in Bautzen II war die aufrechte, starke und warmherzige Charlotte Raufeisen eine Stütze, die half, die schwere Haftzeit zu überstehen. Den Aufbau der Gedenkstätte Bautzen hat Charlotte Raufeisen mit Rat und Tat unterstützt. Wir haben sie als freundlichen, stets hilfsbereiten Menschen schätzen gelernt und werden ihr Andenken bewahren. Unser tiefes Mitgefühl gilt ihrer Familie.
Charlotte Krüger wurde im Januar 1930 in Ahlbeck auf Usedom geboren. Nach der Schule absolvierte sie eine Ausbildung zur Sprechstundenhilfe. Mit 23 Jahren lernte sie den Feriengast Armin Raufeisen in einem Tanzlokal kennen und lieben. Nach ihrer Hochzeit im Jahr 1956 zogen beide nach Ronneburg in Thüringen. Armin Raufeisen verpflichtete sich inoffiziell, für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zu arbeiten. Er erhielt 1957 vom MfS den Auftrag, in die Bundesrepublik überzusiedeln und sich dort als Erdölfachmann weiterzubilden. Gegenüber seiner Familie behauptete der überzeugte Kommunist, dass er aus Karrieregründen in die Bundesrepublik fliehen wolle. Charlotte folgte ihrem Mann nach Hannover. Armin Raufeisen fand Arbeit bei der Preussag. Die Söhne Michael und Thomas wurden 1960 und 1962 geboren. Niemand ahnte, dass er ein Agent der Stasi war. Über zwanzig Jahre hinweg gab er Informationen aus seinem beruflichen Umfeld an die Stasi weiter. Erst nach und nach wurde Charlotte über die geheimen Verbindungen ihres Mannes zum MfS informiert. Sie unterdrückte die Gedanken an mögliche Risiken und rang ihrem Mann das Versprechen ab, niemals in die DDR zurückzukehren. In den 1960er Jahren versuchte das MfS, auch Charlotte Raufeisen zur Mitarbeit zu bewegen. Sie lehnte entschieden ab.
Armin Raufeisen lebte sein Doppelleben aus Überzeugung. In Hannover hatte er eine doppelte Karriere. Zum einen wurde er Abteilungsleiter bei der Preussag, zum anderen häuften sich Ehrungen, Beförderungen und Verdienstmedaillen von Seiten des MfS. 1973 erhielt er den Ehrentitel „Verdienter Mitarbeiter der Staatssicherheit“.
1979 wendete sich das Blatt. Im Januar 1979 lief der MfS-Offizier Werner Stiller zum Bundesnachrichtendienst über. Dadurch geriet Raufeisens Tarnung in Gefahr. Er wurde vom MfS zurück in die DDR gerufen. Mit seiner ahnungslosen Familie kehrte er unter dem Vorwand, Charlottes Vaters läge im Sterben, in die DDR zurück. Jetzt erst eröffnete er den Söhnen seine Geheimdiensttätigkeit. Beide wollten auf keinen Fall in der DDR bleiben, doch nur der bereits volljährige Sohn Michael konnte in den Westen zurück. Aufgrund familiärer Konflikte und realer Lebensumstände in der DDR wandelte sich Raufeisens Einstellung. Er setzte sich für eine Rückkehr seiner Familie nach Hannover ein. Als zwei offizielle Anträge auf Ausreise abgelehnt wurden, suchte er Kontakt zu westlichen Geheimdiensten. Die geplante Flucht der Familie scheitert, da die Stasi über eine undichte Stelle beim westdeutschen Verfassungsschutz von dem Vorhaben erfuhr. Charlotte, Armin und Thomas Raufeisen wurden im September 1981 festgenommen und in die Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen eingeliefert.
Das Militärobergericht Berlin verurteilte Armin Raufeisen wegen „Spionage“ zu lebenslanger Haft. Charlotte erhielt eine siebenjährige, Sohn Thomas eine dreijährige Haftstrafe. Alle drei wurden im November 1982 zum Strafvollzug nach Bautzen II eingewiesen. Charlotte Raufeisen sah ihren Mann und ihren Sohn nur einmal alle sechs Monate. Nach Verbüßung seiner Strafe konnte Thomas Raufeisen in den Westen ausreisen. Armin Raufeisen verstarb nach einer Operation im Oktober 1987 in der Haft. Nach sieben Haftjahren wurde Charlotte Raufeisen im September 1988 in die DDR entlassen. Ihr Antrag auf Ausreise in die Bundesrepublik wurde erst im April 1989 genehmigt. Seitdem lebte sie als Rentnerin wieder in ihrer Wahlheimat Hannover.
Kontakt:
Silke Klewin (Gedenkstättenleiterin)
Tel. 03591 40474
Silke.Klewin@stsg.de