„Tunnel-Dieter“ und der Mauerbau am 13. August 1961
13.08.19
Am Sonntag, den 13. August 1961, riegeln Grenzpolizisten, Volkspolizisten, Kampfgruppeneinheiten und Soldaten der DDR die Sektorengrenze nach West-Berlin ab, um die Massenflucht aus der DDR zu beenden. Den Weg in den Westteil der Stadt verschließen zunächst Panzersperren und Stacheldrahtzäune, die in folgenden Wochen durch eine von Bautrupps errichtete zwei Meter hohe Mauer ersetzt werden. Die Stadt Berlin ist für die nächsten 28 Jahre in zwei Hälften zerschnitten – und mit ihr zahlreiche Familien, Partnerschaften und Freundschaften.
Eine Flucht aus der DDR wird zur Lebensgefahr. Trotzdem versuchen schon kurz nach dem Mauerbau Hunderte, das unmenschliche Bauwerk zu überwinden. Von West-Berlin aus graben Fluchthelfer Tunnel unter der Mauer, um ihre Freunde und Verwandten aus der DDR in die Freiheit zu holen. Einer der ersten Tunnelbauer ist der West-Berliner Dieter Hötger.
Er gräbt 1962 einen Tunnel von einem Keller eines West-Berliner Wohnhauses unter der Berliner Sebastianstraße hindurch nach Ost-Berlin, um seine Ehefrau, ihre zwei Kinder und weitere zehn Menschen aus der DDR zu holen. Der Plan wird an die Staatssicherheit verraten. Während der Fluchtaktion am 28. Juni 1962 werden er und sein am Tunnelbau beteiligter Freund Siegfried Noffke niedergeschossen. Der 22-jährige Siegfried Noffke stirbt, Dieter Hötger überlebt schwer verletzt und wird von der Staatssicherheit verhaftet.
Ein DDR-Gericht verurteilt ihn wegen „staatsgefährdender Gewaltakte und Verleitung zur Republikflucht“ zu neun Jahren Zuchthaus. Dieter Hötger kommt in die Stasi-Sonderhaftanstalt Bautzen II. Andere Gefangene nennen ihn „Tunnel-Dieter“. Die meiste Zeit aber ist er von den Mithäftlingen isoliert eingesperrt. Dieter Hötger ist der der einzige Häftling, dem die Flucht aus dem Hochsicherheitsgefängnis gelingt, als er im November 1967 nach wochenlangen Vorbereitungen eine Außenmauer durchbrechen kann. Nach neun Tagen Flucht jedoch wird er gestellt und zu zusätzlichen acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. 1972 kauft ihn die Bundesrepublik Deutschland aus Bautzen II frei. Dieter Hötger lebt heute in Berlin.
Heute sind circa 70 Fluchttunnelprojekte bekannt, die ab dem Mauerbau 1961 entstanden. Etwa die Hälfte der Vorhaben scheiterte. DDR-Bürger, deren Tunnelfluchten nicht gelangen, wurden wegen „versuchter Republikflucht“ verurteilt und eingesperrt. Bundesbürger, die als Fluchthelfer tätig waren und festgenommen wurden, saßen in Bautzen II wegen „staatsfeindlichen Menschenhandels“ ein.
Kontakt:
Sven Riesel (Öffentlichkeitsarbeit Gedenkstätte Bautzen)
Tel. 03591 530362
sven.riesel@stsg.de