"Wir dürfen diese schrecklichen Taten nie vergessen": Interview mit Innenminister Markus Ulbig über das "Denkmal der grauen Busse" in Pirna
Dresdner Neueste Nachrichten vom 24.06.2010
Ein rund 75 Tonnen schweres Bus-Denkmal steht ab heute Abend für ein Jahr lang an der Grohmannstraße. Das „Denkmal der grauen Busse“ erinnert an die Todestransporte des Nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms T4. In den Jahren 1940/41 fielen rund 70000 psychisch Kranke und Behinderte dieser Vernichtungsaktion zum Opfer. Allein auf dem Sonnenstein mindestens 15000 Menschen.
Der Pirnaer Trägerkreis des Denkmalsprojektes lädt heute um 17 Uhr alle Pirnaer zur Aufstellung des Mahnmals in die Grünanlage der Grohmannstraße ein. Im Anschluss an die Aufstellung folgen gegen 18 Uhr Grußworte der Schirmherren Innenminister Markus Ulbig (CDU) und Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke (parteilos). Die Initiative, das Denkmal nach Pirna zu holen, ging von seinem Amtsvorgänger aus. Im DNN-Interview spricht Markus Ulbig darüber, was das Denkmal für Pirna bedeutet und warum es wichtig ist, die Erinnerung an das Verbrechen, das vor 70. Jahren begann, wach zu halten.
Frage: Herr Ulbig, am 24. Juni wird das Denkmal der Grauen Busse in Pirna aufgestellt. An was mahnt es uns?
Markus Ulbig: Das „Denkmal der Grauen Busse“ erinnert an die Todestransporte der 70000 Opfer der NS-"Euthanasie"-Aktion T4 in den Jahren 1940/41. Ein in Segmente aufgeschnittener, begehbarer grauer Bus, in Originalgröße aus Beton gegossen, wechselt im Laufe der Jahre seinen Standort, um so die Erinnerung in die Regionen zu tragen, in denen sich eine der sechs Tötungsanstalten der "Euthanasie"-Aktion befand. Pirna-Sonnenstein war eine von ihnen. Mindestens 15 000 Männer, Frauen und Kinder aufgrund ihrer Behinderung oder psychischen Krankheit wurden an diesem Ort systematisch getötet.
Die Initiative, dass Mahnmal in Pirna aufzustellen, ging von Ihnen aus. Wie kam es dazu?
Im Rahmen eines Besuches in der Partnerstadt Baienfurt als damaliger Oberbürgermeister hatte ich die Gelegenheit von Oberbürgermeister Hermann Vogler dieses Denkmal vorgestellt zu bekommen. Mir war sofort klar, dass dieses Projekt eine Chance für die Stadt Pirna sein würde, den 70. Jahrestag des Beginns der Krankenmorde auf dem Pirnaer Sonnenstein besonders zu thematisieren.
Es hat sich ein Trägerkreis gebildet. Wer ist alles dabei?
Im Trägerkreis arbeitet die Stadt Pirna, der Verein Aktion Zivilcourage, die Gedenkstätte und das Kuratorium Pirna Sonnenstein sowie das Kuratorium Altstadt Pirna aktiv an der Umsetzung des Projektes.
Ursprünglich sollte das Denkmal auf dem Marktplatz stehen. Jetzt befindet es sich an der Grohmannstraße. Wie kam es zu der Standortentscheidung?
Die Künstler waren vom Standort Marktplatz begeistert. Der Trägerkreis favorisierte eher die Grohmannstraße. Mit wichtigen Akteuren der Stadt entwickelte sich im Vorfeld aus diesen verschiedenen Meinungen eine interessante Diskussion darüber, wie viel Erinnern eine Stadt verträgt und an welcher Stelle Übergewicht und somit Ablehnung der Bürgerschaft entsteht. Nach Abwägung der innerstädtischen Personenströme sowie der verkehrstechnischen Risiken entschied sich der Trägerkreis letztlich für die Grünfläche in der Grohmannstraße.
Warum steht es nicht auf dem Sonnenstein, am Ort des Verbrechens?
Unser Anliegen war es von Anfang an, die Erinnerung an diese dunkle Zeit in das Bewusstsein der Stadt zu holen. Somit war dem Trägerkreis und den Künstlern auch bewusst, dass wir das Denkmal mitten in der Stadt brauchen, um die Auseinandersetzung mit diesem Thema für die kommende Zeit zu unterstreichen.
Ein Jahr lang steht das Denkmal in Pirna. Das Mahnmal ist Teil eines Zeitzeugenprojektes. Was ist genau geplant?
In diesem Jahr wird es verschiedene Veranstaltungen, Buchvorstellungen, öffentliche Führungen und Vorträge zu diesem Projekt geben. Der Trägerkreis erarbeitet derzeit darüber hinaus ein vielfältiges Programm für Schulklassen.
Das NS-Verbrechen wurde über Jahrzehnte verdrängt und in Pirna nicht thematisiert. Warum aber jetzt?
Seit fast zwei Jahrzehnten erinnert die Gedenkstätte Pirna Sonnenstein, an die Geschehnisse in den Jahren 1940/41. In diesem Jahr jährt sich der erste Transport auf den Sonnenstein zum 70. Mal. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit aus den Erfahrungen der Generationen zu schöpfen, die dieses Grauen noch miterlebt hat. Für eine Stadt wie Pirna finde ich es mutig, sich der eigenen Vergangenheit auf diese Art und Weise zu nähern und der jüngeren Generation somit die Geschehnisse unserer Geschichte zu vermitteln.
Das Schloss auf dem Sonnenstein wird saniert und erstrahlt in anderthalb Jahren im neuen Glanz. Die Stadt bringt den Schlosshang auf Vordermann. Die Verbrechen der Nationalsozialisten liegen 70 Jahre zurück. Wäre es nicht Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, sich an den positiven neuen Entwicklungen zu erfreuen und die Vergangenheit zu vergessen? Wie begegnen sie derartigen Argumentationen?
Wir dürfen diese schrecklichen Taten nie vergessen. Die nationalsozialisitsche Euthansasie war ein geplanter Massenmord, der in unserer Stadt begangen wurde und das ist noch nicht einmal ein Menschenleben her. Es ist ein Teil unserer Geschichte und ein Teil des Gedächtnisses der Stadt. Es gibt keinen Schlussstrich unter diese Ereignisse. Die systematische Ausgrenzung und Vernichtung von Menschen muss uns und kommenden Generationen eine bleibende Mahnung sein. Projekte wie das der Grauen Busse sind dafür geeignet, weil sie irritieren, wachhalten und uns verstören.
Interview: Silvio Kuhnert