"Gedenkstätte ist Schandmal"
Torgauer Zeitung vom 27.05.2010
Torgau (TZ). Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, erklärt zur Stellungnahme des Landesverbandes der Vereinigung Opfer des Stalinismus zur Einweihung der Gedenkstätte in Torgau am Fort Zinna:
An den Opfern der NS-Militärjustiz wurde die blutigste juristische Verfolgung der deutschen Geschichte begangen – allein über 30 000 Todesurteile und 20 000 Hinrichtungen und mehr als 100 000, die KZ, Torgau und Strafbataillon nicht überlebten. Der zentrale Ort unserer Verfolgung war Torgau. Als ich nach der Wende von Bremen nach Torgau kam, wusste ich nichts von sowjetischen Speziallagern und in der Euphorie der Wiedervereinigung stimmte ich einer gemeinsamen Gedenkstätte zu. Doch dann erfuhr ich vom Präsidenten des Zentralrats der Juden, dass in den Torgauer Speziallagern neben vielen Unschuldigen auch tausende NS-Täter inhaftiert waren – unter ihnen auch Kriegsrichter und Schergen der Gestapo und des SD. Ich wurde noch in der Todeszelle vom SD gefoltert. Meine Zustimmung zu einem gemeinsamen Gedenken habe ich sofort zurückgenommen. Seitdem fordern wir zusammen mit dem Zentralrat der Juden eine eigene Gedenkstätte. Die nach 1945 Verfolgten bekamen 1992 mit Unterstützung der sächsischen Landesregierung in Torgau am Fort Zinna eine eigene Gedenkstätte, wir nicht einmal einen Platz, an dem wir für unsere Opfer Blumen niederlegen konnten. Fast alle unserer Opfer sind gedemütigt und ohne ein Gedenken verstorben. Im Oktober 2007 wurde am Fort Zinna gegen unseren Widerstand eine gemeinsame Gedenkstätte fertiggestellt. Wir machten der Stiftung deutlich, dass sie nur gegen unseren Protest eingeweiht werden kann, wenn die Kriegsrichter nicht auf der Informationstafel als unsere Verfolger benannt werden. Nach über zwei Jahren bat der Stiftungsrat sein Mitglied Herrn Oberkirchenrat Seele, mit mir einen Kompromisstext zu suchen. Das ist uns gelungen und wurde dokumentiert. Dennoch gelang es dem Stiftungsgeschäftsführer Herrn Reiprich, mit üblen Tricks die Realisierung des Textes auf der Tafel zu verhindern. Solange die Mörder unserer Opfer auf der Tafel nicht als unsere Verfolger benannt werden, ist diese Gedenkstätte für uns ein Schandmal, welches keiner von uns und den Angehörigen unserer Toten je wieder wird betreten können. Ein Schandmal ist sie auch, weil die Opfer des Stalinismus in ihrem Gedenkbereich Prof. Timm mit einer Tafel als „Engel von Torgau“ ehren. Früher stand die von der Stiftung mit 2000 DM geförderte Gedenktafel auf dem Torgauer Friedhof. Dann wurde bekannt, dass Prof. Timm Mitglied der NSDAP und fünf weiterer Nazi-Organisationen war und als Doktorvater eine Doktorarbeit des KZ-Arztes Dr. Wagner betreute und mit „sehr gut“ benotete, mit der 800 tätowierte Buchenwaldhäftlinge „untersucht“ wurden. Die Untersuchungen endeten oft tödlich und die Haut der Opfer wurde zu „attraktiven Lampenschirmen“ verarbeitet. – Daraufhin wurde die Gedenktafel vom Friedhof entfernt und der Stiftungsrat beschloss im Dezember 2000 zu Prof. Timm: „Eine herausgehobene Würdigung von Persönlichkeiten, die selbst zu den Stützen der NS-Terrorherrschaft gehörten, ist nicht möglich“. Prof. Timm ist der Einzige, der persönlich in der Gedenkstätte am Fort Zinna geehrt wird.