Sächsische Zeitung: Elberadweg soll bis ins Lager gehen - ElblandInterview mit Siegfried Reiprich
22.05.10
Udo Lemke
Elberadweg soll bis ins Lager gehen. Mehr Personal, eine bessere Anbindung und Fachlehrer – das wünscht sich Siegfried Reiprich, der Chef der Gedenkstättenstiftung, für den Ehrenhain Zeithain
Herr Reiprich, Sie sind jetzt gut hundert Tage Geschäftsführer der Gedenkstättenstiftung. Wie sehen Sie den Start?
Ich habe mich seit frühester Jugend in Weimar mit dem Nationalsozialismus – später auch mit Entsetzen mit dem Stalinismus – auseinander gesetzt. Ich habe versucht zu verstehen, wie so etwas im 20. Jahrhundert möglich war. Deshalb ist die Arbeit als Geschäftsführer der Stiftung gewissermaßen die Krönung meiner Laufbahn. Sie bietet unglaubliche Chancen, an einem philosophisch durchdachten Konsens beim Umgang mit den Zivilisationsbrüchen von Nationalsozialismus und Stalinismus mitzuarbeiten.
Wofür braucht unsere Erinnerungskultur Gedenkstätten wie die Zeithainer?
Die europäische Zivilisation hatte ein hohes Niveau bei der Einhegung des Krieges erreicht, das sich in der Haager Landkriegsordnung und in der Genfer Konvention ausdrückte. Darin war etwa der Schutz der Zivilbevölkerung und der Umgang mit Kriegsgefangenen geregelt. Im Zweiten Weltkrieg ist dieses Niveau auf fürchterliche Weise, zivilisationsbruchartig insbesondere gegenüber slawischen Menschen unterschritten worden. Da wir auch heute nicht in einer Welt ohne Konflikte und Kriege leben, ist es gerade für junge Leute wichtig, zu begreifen, dass etwa Kriegsgefangene Rechte haben und dass sie ihnen hier in Zeithain vorenthalten worden sind. Das humanistische Niveau einer Gesellschaft reproduziert sich nicht von selbst. Es muss vor allem von Eltern und Schulen von Generation zu Generation aufrecht erhalten werden. Das ist eine ständige Bildungsaufgabe.
Die Gedenkstätten der Stiftung Vollzeitleiter und werden vom Bund gefördert - außer Zeithain. Warum?
Zeithain hatte von Anfang an laut Plan nur eine halbe Leiterstelle. Aber ich werde mich bemühen, die Gedenkstätte in dieser Hinsicht bis zum Spätsommer den anderen gleichzustellen. Was die Förderung durch den Bund betrifft, sehen wir erfolgversprechende Perspektiven.
Der Ehrenhain Zeithain ist die größte Kriegsgräberstätte und der größte Friedhof von NS-Opfern in Sachsen. Wie soll sie weiterentwickelt werden?
Der Ehrenhain hat ein strukturelles Problem, weil er verkehrstechnisch nicht so gut angebunden ist wie andere unserer Gedenkstätten. Wir müssen versuchen, dieses Manko auszugleichen, weil Zeithain nicht irgendein Ort ist, sondern einer von großer Bedeutung. Bei den russisch-sowjetischen Kriegsgefangenen handelt es sich nach den Juden um die zweitgrößte Opfergruppe des Nationalsozialismus. Die Frage ist, wie wir es erreichen können, dass mehr Schulklassen nach Zeithain kommen.
Was gibt es da für Ideen?
Eine Idee wäre es, den Elberadweg mit einem Lehrpfad zu verbinden, der zu den ehemaligen Gefangenenlagern führt, wo Schüler im Sinne forschenden Lernens etwas begreifen können von europäischer und deutscher Geschichte. Gute Ideen und Konzepte sind vorhanden, die Krux besteht darin, das Geld für ihre Umsetzung zu bekommen. Neben der staatlichen Unterstützung für die Gedenkstätte müssen wir stärker auf die Zivilgesellschaft setzen, man kann etwa die Spendenbereitschaft von Menschen anregen, indem man sie erst einmal an den Ort bringt. Einnahmen kann man auch erzielen, indem besondere Leistungen wie Führungen gegen Aufwandsentschädigung erbracht werden. Man müsste Zeithain wirkungsvoll in den Bildungstourismus einbinden. Man könnte mit Einnahmen von solventen Erwachsenen den Besuch von Schülern subventionieren. Zeithain hat noch große Potenziale. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn man so etwas wie den geplanten Geschichtslehrpfad nicht realisieren könnte.
Wie soll der Pfad betreut werden?
Entscheidend wird sein, ob es uns gelingt, zusätzliche Arbeitskräfte für Zeithain zu mobilisieren. Besonders wichtig wäre mir, dass wir wie in anderen Bundesländern Gedenkstättenlehrer bekommen. Das sind Pädagogen, die beispielsweise mit der Hälfte ihrer Arbeitskraft in einer Gedenkstätte eingesetzt werden. Sie bieten professionelle Projekttage und Seminare an. Ich weiß, dass dies auch ein Anliegen der Stiftungsratsvorsitzenden und Ministerin für Kunst- und Wissenschaft, Sabine von Schorlemer, ist.
Ende April wurde der Waldfriedhof Zeithain eingeweiht. Wie soll es dort weitergehen?
Der Friedhof läuft über die Gemeinde Zeithain und das sächsische Sozialministerium, der Förderverein der Gedenkstätte ist für die vier sowjetischen Kriegsgefangenenfriedhöfe zuständig. Dort sollen jetzt 25 000 Namensschilder angebracht werden.