Rede der Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Prof. Sabine von Schorlemer, anlässlich der Einweihung des Gedenkortes am Fort Zinna in Torgau am 9. Mai 2010
An diesem Wochenende ist es 65 Jahre her, dass der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging. Es war der Tag der Befreiung für die Länder, die unter der deutschen Besatzung litten; es war ebenso der Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom nationalsozialistischen Unrechtsregime.
Hier in der Stadt Torgau fand der Krieg schon am 25. April sein Ende – Sie wissen es alle, denn in Torgau an der Elbe reichten sich sowjetische und amerikanische Soldaten an diesem Tag die Hände.
Als Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft möchte ich Sie alle sehr herzlich willkommen heißen, um heute, am 9. Mai des Jahres 2010, den Gedenkort am Fort Zinna zu Torgau der Öffentlichkeit zu übergeben.
Mit großem Respekt und mit Anteilnahme begrüßen wir diejenigen unter uns, die – heute hoch betagt – vor der Stätte ihrer schlimmsten Leidenserfahrung stehen.
Ihre persönliche Erfahrung von Unrecht und Freiheitsberaubung, von Folter und Mord ist für uns als Nachgeborene Verpflichtung und Auftrag zugleich, daran zu erinnern. Diese Erinnerung und die Aufklärung über das geschehene Unrecht sollen der menschenrechtlichen Orientierung in Gegenwart und Zukunft dienen.
Wir gedenken heute auch der Toten, der Opfer ungerechter Gewalt.
Der Grund für eine Aufklärungspatrouille der US-Army, ausgerechnet in das nordsächsische Torgau vorzudringen, liegt in seiner beeindruckenden Erscheinung direkt vor unseren Augen:
Das Fort Zinna war ein Gefängnis der nationalsozialistischen deutschen Militärjustiz, in dem auch alliierte Soldaten gefangen gehalten wurden.
Für sie und andere in Haft zurückgelassene Soldaten, neben deutschen auch z. B. Luxemburger, die die NS-Diktatur völkerrechtswidrig zum Dienst in der Wehrmacht gezwungen hatte, war dieser 25. April 1945 der Tag der Befreiung, ganz konkret der Tag der Erlösung von Folter, Elend und Todesfurcht und Hinrichtungsdrohung. Doch die Opfer der NS-Militärjustiz, die sich – wie es der israelische Zeithistoriker Omer Bartov ausdrückte – der „mörderischen Disziplin“ des NS-Regimes widersetzt hatten, welche junge Männer bis „fünf nach zwölf“ für ihren Aggressionskrieg zu verheizen suchte, sollten nicht die letzten politischen Gefangenen an diesem Ort gewesen sein.
Die Formensprache dieses Gedenkortes spiegelt es wieder:
Schichten unterschiedlicher Formen politischer Verfolgung in unterschiedlichen historischen Kontexten legten sich übereinander, gleichsam wie geologische Formationen:
Aus dem in seiner Zeit größten und modernsten Wehrmachtgefängnis mit zentralen Aufgaben für das brutale Strafvollzugssystem der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges wurde in der sowjetischen Besatzungszone ein so genanntes Speziallager der sowjetischen Geheimpolizei NKWD.
Wirkliche und vermeintliche Gegner der sowjetischen Besatzungsmacht, NS-Belastete, aber auch völlig unschuldig und willkürlich Aufgegriffene wurden inhaftiert; von der Feststellung individueller Schuld konnte ebenso wenig die Rede sein, wie von einigermaßen erträglichen Haftbedingungen.
Neues Leiden und Sterben begann.
In der DDR, in der Zeit der SED-Diktatur, diente der Gebäudekomplex als Strafvollzugsanstalt. Hier waren nicht wenige politische Gefangene inhaftiert.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir können dieser überkomplexen Gemengelage nicht ausweichen. Es ist uns aufgetragen, uns mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen.
Die Aufgabe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, die Erinnerung an politische Gewaltverbrechen also, an politische Verfolgung, an Staatsterror, an staatlich organisierte Morde (§ 2 Absatz 1 SächsGedenkStG), die Würdigung der Opfer und die Aufklärung über die Täter dient dem Zweck, immer wieder die Menschenrechte zum zentralen Bezugspunkt unseres Handelns zu machen – in Staat und Zivilgesellschaft.
Diese Orientierung stellt eine essentielle Gemeinsamkeit dar, die alle möglichen Meinungsunterschiede und Deutungsdifferenzen der Zeitgeschichte überbrückt.
Es geht, um es mit den Worten des Philosophen und politischen Häftlings Rudolf Bahro auszudrücken, um „die Solidarität mit allem, was Menschenantlitz trägt“.
Auf dieser humanistischen Basis wird die ganze komplexe, die ambivalente Geschichte dieses Ortes erzählt, werden Kontext und Faktenlage in der Ausstellung im Schloss Hartenfels in der Torgauer Altstadt benannt – im Dokumentations- und Informationszentrum Torgau, welches sich einer bürgerschaftlichen Initiative zu Beginn der 1990er Jahre verdankt.
Bis zum heutigen Tag war ein weiter Weg zu gehen.
Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), die Stiftung Sächsische Gedenkstätten, die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, die Arbeitsgemeinschaft Bennis und Weidner und andere gingen ihn gemeinsam.
Es lässt sich nicht übersehen, dass dies ein Weg war, der durch ein schwieriges Ringen um die Angemessenheit der Gestaltung des Gedenkortes Torgau geprägt war.
Nach der Gründung der Stiftung wurde 1998 ein Ideenwettbewerb zur künstlerischen Gestaltung dieses ganzen Areals ausgeschrieben.
Der preisgekrönte Entwurf fand leider nicht die Zustimmung aller Opferverbände und wurde nicht realisiert.
Die Stiftung ließ sich jedoch nicht entmutigen:
aus einem zweiten Wettbewerb wurde 2005 der Entwurf der Arbeitsgemeinschaft Martin Bennis und Berthold Weidner ausgewählt und Ende 2007 verwirklicht.
Wir weihen heute einen Memorialkomplex ein, der – um den Historiker Reinhard Kosellek zu zitieren – die „Zeitschichten“ des Ortes symbolisiert. Als „eigene Setzungen“ der Opferverbände auf der einen Seite ein Gedenkkreuz, auf der anderen das Denkmal des Bildhauers Thomas Jastram, welches wir gleich sehen werden.
Zwei würdig gestaltete Glastafeln geben dem Besucher Basisinformationen.
Eine Hecke symbolisiert die Zäsur des Jahres 1945 und die Differenz der erinnerungspolitischen Bezüge.
Ich begreife sie als ein lebendiges Element – Grün ist die Farbe der Hoffnung.
Ich freue mich, dass nun nach einem langen Weg dieser Gedenkort in Torgau der Öffentlichkeit übergeben werden kann.
Ich wünsche mir, dass dieser Ort die Erinnerung an die Opfer wach halten und das differenzierende Nachdenken über Geschichte befördern möge.