Begrüßung der Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst und
Vorsitzenden der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Sabine von Schorlemer
anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 65. Jahrestag der Befreiung des
Kriegsgefangenenlagers Zeithain unter der Schirmherrschaft des Präsidenten des Sächsischen Landtages, Dr. Matthias Rößler
am 23.04.2010
- Es gilt das gesprochene Wort -
Anrede,
heute, an einem „fast runden“ Erinnerungstag, gedenken wir der Ereignisse vor 65 Jahren, die für die Völker der Anti-Hitler-Koalition von besonderer Bedeutung waren:
- In der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 wurde das Kriegsgefangenenlager Zeithain befreit.
- Am 23.April fand die erste Begegnung zwischen sowjetischen und amerikanischen Truppen an der Elbe in Strehla statt.
- Am 25.April wird die weltberühmte Begegnung der beiden Armeen in Torgau
gewürdigt.
Als Vorsitzende der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft freue ich mich deshalb, dass wir hier einige Angehörige der Toten von Zeithain begrüßen können ebenso wie Gäste aus nah und fern, die aus Anlass der Wiederkehr der Beendigung des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland gereist sind.
Hier in Zeithain befindet sich, nimmt man allein die Zahl der Todesopfer, die größte Gräberstätte im Freistaat Sachsen, und gleichzeitig die Gedenkstätte in Deutschland, auf der mit über 25.000 verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen die meisten dieser Opfergruppe ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Zeithain ist damit eine Gedenkstätte von nationaler und internationaler Bedeutung, und ist ein Symbol Deutschlands für den Umgang mit dieser Opfergruppe des Nationalsozialismus.
Dass wir inzwischen von den mehr als 25.000 sowjetischen Toten des Lagers mehr als 95% der Anonymität haben entreißen können, ist einem gemeinsamen deutsch-russisch-ukrainisch-weißrussischen Forschungsprojekt zur Schicksalsklärung sowjetischer Kriegsgefangener zu verdanken, das unter Federführung der Dokumentationsstelle der Stiftung seit mehr als 10 Jahren durchgeführt wird.
Zu den Aufgaben der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft gehört an zentraler Stelle das Gedenken und die Erinnerung an die Todesopfer, gehört die Ehrung der Toten. Der ehemalige Lagerkomplex ist heute ein riesiger Friedhof mit allein vier Massengräberanlagen. Zu diesen gehört auch der Ehrenhain Zeithain, auf dessen Gelände wir uns befinden.
An einem solchen Ort werden die Menschen, so merkwürdig das auf den ersten Blick klingen mag, zusammengeführt. Es ist – als Ort und Gedenkstätte – ein Platz für das Ringen um ein tieferes Verständnis für die Zivilisationsbrüche des 20. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der Kriege und Revolutionen, aber auch dem „Jahrhundert der Extreme“, wie der Historiker Eric Hobsbawm das einmal formuliert hat. Wenn wir(uns) an die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus erinnern, so wird auch heute noch viel zu wenig deutlich gemacht, dass es sich bei den Millionen um ihr Leben gebrachten sowjetischen Kriegsgefangenen um die zweitgrößte Opfergruppe dieses totalitären Systems handelt.
Nach dem Ende der SED-Diktatur in der DDR im Jahre 1990 kam vielfach die
Befürchtung auf, es könnten nun die Opfer des Nationalsozialismus in den
Hintergrund geraten – das Gegenteil war der Fall! Vieles konnte seither tiefer und präziser erforscht und dargestellt werden; die Öffnung der Archive in Osteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die weitere Klärung des Schicksals sowjetischer Kriegsgefangener oder der „Ostarbeiter“ erfolgte ebenso nach der Friedlichen Revolution von 1989/90 wie die Errichtung des Holocaustmahnmals in Berlin.
Hier in Zeithain erinnern wir an das Schicksal von sowjetischen, italienischen, polnischen und serbischen Kriegsgefangenen. Zeithain ist jedoch die einzige Gedenkstätte in Deutschland, die sich schwerpunktmäßig mit dem Schicksal gerade sowjetischer Kriegsgefangener befasst. Die Stiftung und mit ihr der Freistaat Sachsen haben sich der Aufgabe verpflichtet, dieser Opfergruppe im In- und Ausland das ihr zustehende Recht auf Anerkennung und Würdigung ihres Schicksals zu sichern. Lange Jahre gehörten diese Menschen, mehr als 3 Millionen insgesamt, zu
den vernachlässigten Opfergruppen - in ihrer Heimat, aber auch bei uns, im Westen wie im Osten unseres damals geteilten Vaterlandes.
Wichtige Aufgaben liegen nach wie vor noch vor uns:
Es gilt, die Bedeutung der sowjetischen Kriegsgefangenen als millionenfacher Opfergruppe im öffentlichen Bewusstsein viel tiefer zu verankern als bisher und ihr Schicksal gerade im Bewusstsein von Schülern so zu festigen, dass diese daraus ihre Lehren ziehen, nämlich zu erkennen, welche Gefahren für uns alle drohen, wenn die Institutionen des Rechtsstaates ihre Autorität und Kraft verlieren, wenn das Leben von Menschen wieder in die Befehlsgewalt von Diktatoren gerät, wenn Artikel
1 des Grundgesetzes keine Geltung mehr hat:
Die Würde des Menschen muss unantastbar sein und bleiben.
In diesem Sinne sind Gedenkstätten wie Zeithain außerordentliche, außerschulische Lernorte, und es gehört zu den eindrücklichsten Erfahrungen, die junge Menschen machen können, die Gräber der Toten in würdiger Weise zu pflegen.
Kriegsgräberabkommen - seit 1992 auch mit Ländern der ehemaligen Sowjetunion abgeschlossen - verpflichten die Bundesrepublik Deutschland, ihren sich aus dem Krieg ergebenen Pflichten nachzukommen, würdige Gräberstätten herzurichten, über die dort Bestatteten zu informieren und ihnen mit der Namensklärung auch ein Stück Würde wieder zu geben. Das sind die Lehren aus der Negierung der Kriegsgefangenenkonventionen durch den verbrecherischen Nationalsozialismus, denen Europa als Wertegemeinschaft verpflichtet ist.
Alles dafür zu tun, dass sich solche Kriege nicht wiederholen, dass den
unveräußerlichen Rechten des Menschen Geltung verschafft wird in einem
zusammenwachsenden Europa, dass gewarnt wird vor den schrecklich falschen
Verlockungen von Rassismus und Ausgrenzung, vor Ausländerhass und der leichten Suche nach Sündenböcken, gehört zu den vornehmsten Aufgaben der Gedenkstätte.
Die sächsische Staatsregierung ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Auch der sächsische Landtag als demokratische Vertretung nimmt diese Aufgabe sehr ernst.
Ich freue mich daher sehr, dass die erste Vizepräsidentin des Landtages
anschließend zu uns sprechen wird.
So heiße ich Sie in diesem Sinne noch einmal herzlich willkommen und danke Ihnen von Herzen dafür, dass Sie gekommen sind um gemeinsam den Zehntausenden von Opfern die Ehre zu erweisen!