Rede von Dr. Mykola Baltashy, Vertreter der Ukraine
Zeithain, 23.04.2010
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Dombois,
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Schorlemmer,
Sehr geehrter Herr Reiprich
Exzellenzen,
Meine Damen und Herren,
Vor 65 Jahren, am 23.April 1945 wurde das Kriegsgefangenenlager Zeithain von der Sowjetarmee befreit.
Heute gibt‘s wohl keinen Menschen auf der Erde, der nicht die Meinung teilte, das dieser Krieg zu den grausamsten Verbrechen des XX Jahrhunderts gehört, aber auch eine Tragödie war, die mehreren Millionen Leben kostete.
Hier, im ehemaligen Kriegsgefangenenlager Zeithain, wurden während des Zweiten Weltkriegs mehrere Tausende Kriegsgefangene aus verschiedenen Ländern gehalten.
Viele der Inhaftierten, darunter auch die Ukrainer, sind unter den menschenunwürdigen Bedingungen ums Leben gekommen oder exekutiert worden.
Dieser Ort spricht eine deutliche Sprache über Unmenschlichkeit, Gewalt, Terror und Mord. Sie ruft uns Sorge dafür zu tragen, dass sich so etwas nie wiederholt. Denn Gedenken ist das eine. Das andere ist, diese Verpflichtung im Alltag zu leben.
Heute trauern wir um die Kriegsopfer und erweisen den Überlebenden unseren Respekt.
Lassen Sie mich zum Ausdruck bringen, welche Ehre und innere Bewegung es für mich bedeutet, insbesondere zu Ihnen und mit Ihnen verehrte Überlebende sprechen zu dürfen.
Durch Ihre Teilnahme an der heutigen Gedenkveranstaltung setzen sie ein Zeichen der Versöhnung und damit leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur gegenseitigen Verständigung. Möge unser gemeinsames Erinnern und Innehalten helfen Brücken zu bauen, über Grenzen und Generationen hinweg zu verbinden.
Die Ereignisse jener grausamen Jahre scheinen allmählich in die Vergangenheit zu geraten. Manchmal erscheinen sie sogar als etwas virtuales.
In unserem alltäglichen Leben sind wir oft in Versuchung, all das zu vergessen, was seelische Bitternis oder tiefe Wunde in sich trägt.
Aber wir haben kein moralisches Recht dazu. Unsere heilige Pflicht ist und so wird es bleiben, die tragischen Ereignisse in unserer Erinnerung sorgfältig zu bewahren und die Opfer zu ehren.
Meine sehr geehrte Damen und Herren,
Der Zweite Weltkrieg war der blutigste Krieg in der Geschichte der Menschheit – diese Redewendung scheint abgewischt zu sein, aber sie bleibt noch heute aktuell.
Dieser Konflikt wurde die brutalste Erscheinungsform des totalen Krieges.
In diesem tödlichen Duell liefen alle ausnahmslos seine Teilnehmer zu den Handlungen herbei, die wie Kriegsverbrechen qualifiziert werden.
Und keine Seite darf die Rolle des Trägers des absoluten Guten beanspruchen.
Deshalb soll der Zweite Weltkrieg für alle eine Lehre werden.
Der spanische Philosoph Jose Ortega y Gaset sagte einmal: „Die Geschichte lehrt uns nicht, was wir tun sollen, aber sie zeigt, was nicht zu tun ist.“
Diese Worte kann man für das Hauptergebnis des Zweiten Weltkrieges halten.
Zu lernen, aber nicht zu fürchten, der wahren Geschichte in die Augen zu schauen, die vergangenen Tragödien zu überwinden, von ihnen die Kraft für die Zukunft zu schöpfen – das ist heute die wichtigste Herausforderung, die vor uns steht.
Dafür streben wir in der Ukraine, auf diese Herausforderung auf dem komplizierten Weg zur historischen Wahrheit und der Versöhnung eine würdige Antwort zu geben.
Wer sich nicht erinnert, wird keine Zukunft gewinnen.
Heute wird ein Project zur Aufstellung von Namenstafeln für die in Zeithain umgekommenen sowjetischen Kriegsgefangenen präsentiert.
Dadurch ist unser historisches Gedächtnis das beste Mahnmal für die Opfer des zweiten Weltkrieges.
Ich danke Ihnen.